„Es gibt Sätze, die dürfen Sie denken, aber nicht sagen“

Der Amtswechsel ist vollzogen. Prof. Dr. Norbert Collmar ging Ende August nach 29 Jahren an der Hochschule und 17 Jahren als Rektor in den Ruhestand

Prof. Dr. Norbert Collmar

„Die Arbeit mit jungen Menschen ist für mich sehr erfüllend; sie zu begleiten und mitzuerleben, wie sie sich entwickeln.“ Die Lehrveranstaltungen wird er darum vermissen, sagt Norbert Collmar zum Abschied. Und seine Studierenden erinnern sich an Sätze wie: „Wir müssen die Inseln des Wissens im Meer der Unwissenheit verbinden.“ Oder bei den Nachbesprechungen des Religionsunterrichts: „Es gibt Sätze, die dürfen Sie denken, aber nicht sagen.“

Ein persönlicher Rückblick
„Meine Zeit an der Evangelischen Hochschule kann ich in drei Etappen gliedern und dabei nur exemplarisch Themen nennen. Die Realität ist vielschichtig, komplex und labyrinthisch, Rückblicke sind konstruiert. Andere haben es anders wahrgenommen.

1995-1999 die Karlshöher Zeit: Umbau zur Fachhochschule
Zum Wintersemester 1995/96 bin ich an die Evangelische Fachhochschule für Diakonie der Karlshöhe Ludwigsburg als Dozent und dann als Professor für Religionspädagogik gekommen. Es war eine Zeit des Umbruchs. In der „Kirchlichen Ausbildungsstätte für Diakonie und Religionspädagogik“ (mit Fachschule für Sozialpädagogik) wurde die Fachhochschule auf- und die Fachschule abgebaut. Die Fachhochschule hatte zehnsemestrige Doppel-Studiengänge. Noch bevor die Fachhochschule ihre ersten Absolvent*innen verabschieden konnte, begann der nächste Umbruch: Fusionsgespräche mit der Evangelischen Fachhochschule für Sozialwesen in Reutlingen. Im Studienjahr 1998/1999 war ich der letzte Rektor der Karlshöher Fachhochschule und der Diakoninnen- und Diakonenausbildung. Die zentralen Aufgaben waren, den Übergang zu gestalten und mein Rektorat überflüssig zu machen. Beides gelang.

1999-2006: Zusammenwachsen und Sparen
Die beiden Evangelischen Fachhochschulen in Württemberg fusionierten, indem die Fachhochschule der Karlshöhe in die Reutlinger Fachhochschule integriert wurde und diese gleichzeitig den Ortswechsel nach Ludwigsburg vollzog. Ein nüchterner Satz, hinter dem viel Arbeit steckte und ab 1999 noch viel Arbeit vor uns lag. Ab- und Aufbauarbeit, Enttäuschungen und Konflikte, kirchenpolitische Arbeit - und zugleich wuchs die Kollegialität. Für die Studierenden, die zukünftigen Arbeitgeber in Diakonie, Kirche und Gesellschaft und letztlich für die Menschen in Baden-Württemberg galt es, eine gute Hochschule zu gestalten. Wir haben uns angestrengt. Vieles ist geglückt. Dann kamen ab 2003 weitere Sparmaßnahmen, die sozialverträglich gestaltet wurden. Ein Kollege hat es so formuliert: „Die Hochschule hat sich selbst – wie es der Lügenbaron Münchhausen von sich behauptete – an den Haaren aus dem Sumpf gezogen.“ Physikalisch unmöglich? – Klar! Aber es ging auch um innere Welten und die Hoffnung des Glaubens. Als Dekan des kleinen Fachbereichs Religionspädagogik habe ich von 1999 bis 2005 mitgewirkt. Die Seminare und Vorlesungen sowie die Begleitung der Studierenden im Religionsunterricht haben mir selbst viel geschenkt. Ihren Kompetenzzuwachs, ihre Entwicklung zu erleben war sehr schön.

2006-2024: Gesellschaftlicher Wandel, Ausbau und Umbau von der Fachhochschule (FH) zur Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW)
Die sogenannte Bolognareform führte nicht nur zur Umstellung der Diplom- in Bachelorstudiengänge, sondern auch zur Möglichkeit, Masterstudiengänge einzurichten. Gemeinsam mit der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg hat der Fachbereich Religionspädagogik einen Master Religionspädagogik für die Arbeit in Kirche und Schule entwickelt. Auch ein Master Soziale Arbeit wird aufgrund des zunehmenden Qualifizierungsbedarfs angeboten und ist seither immer gut nachgefragt.
2007 wurde ich zum ersten Mal zum Rektor gewählt und dann für drei weitere Amtsperioden jeweils wiedergewählt. Dadurch ist die Arbeit mit den Studierenden notgedrungen hinter das Rektorat zurückgetreten.
Aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen und der aktuell immer noch anhaltenden Herausforderungen wie Bildung in der Kindheit (PISA-Studien, plurale Familienmodelle), Inklusion (UN-Behindertenrechtskonvention), Hochaltrigkeit und Demenz sowie wegen des durchgängigen Fachkräftemangels hat die Hochschule das Studienprogramm erweitert. Die Hochschule kooperiert seither mit Fachschulen für Sozialpädagogik, Jugend- und Heimerziehung, Pflege und Religionspädagogik und knüpfte ein Netzwerk sozialberuflicher Bildung. Kooperieren ist besser als konkurrieren.
Immer mehr Professor*innen verstärkten ihre Forschung oder brachten Forschungsinteressen mit. Das Promotionsrecht für forschungsstarke Professor*innen konnte gemeinsam mit den 22 staatlichen und drei kirchlich getragenen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg erreicht werden. Auch hier gilt: Kooperation ist der Konkurrenz vorzuziehen.
Manches ist im Kleinen oder Großen nicht so geworden wie wir es gewünscht und geplant haben. Aus meiner Sicht möchte ich hier exemplarisch den Studiengang Soziale Arbeit in Reutlingen nennen. Der Studiengang wurde mit großem Engagement und sehr gutem Erfolg in Reutlingen aufgebaut. Nun müssen wir ihn aufgeben.  
Ich danke allen Personen in der Hochschule, in Landeskirche und Diakonie, im Wissenschaftsministerium und in Landkreisen und Kommunen, die die Entwicklung der EH Ludwigsburg in den Jahren seit 1995 gefördert oder mitgetragen haben. Der Hochschule und allen Mitarbeitenden wünsche ich, dass es weiterhin viele unterstützende Personen für die EH gibt."