Vereine als Werkstätten der Demokratie

Wussten Sie das? Artikel 12 in der UN Kinderrechtskonvention regelt gesetzlich, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland ein Recht darauf haben, sich bei allen Fragen zu beteiligen, die sie betreffen! Wissen die Kinder das? Werden sie gefragt, ob die Schule um 7.40 Uhr starten soll oder lieber erst um neun? Prof. Rolf Ahlrichs, Dozent an der EH Ludwigsburg, kennt die Sorgen und Wünsche von Jugendlichen sehr genau. Er befragt und beobachtet sie seit vielen Jahren. Und er kennt ihre Rechte.

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Es gibt 620.000 Vereine in Deutschland, in denen Menschen kicken, turnen oder auch musizieren.
Diese Vereine haben mehr als 50 Millionen Mitglieder. Was oft unterschätzt wird, ist das Potenzial, das sie besitzen. Das möchte ich bewusst machen, damit sie es als Werkstätte der Demokratie nutzen können. Sie betiteln sich ja schon lange so.

Aber wie können Jugendliche diese Werkstätte nutzen? Sie sind ja nicht einmal wahlberechtigt.
In ihrem Bereich schon, denn sie wählen ihren Vorstand, ihre Abteilungsleitung, ihren Sprecher, das ist praktizierte Demokratie als Lebensform unter Gleichberechtigten. Sie diskutieren und entscheiden auch demokratisch miteinander, wo das nächste Trainingslager stattfindet, was mit der Mannschaftskasse passiert oder welche Auswechselspieler auf der Bank sitzen. Sie müssen das nur reflektieren. Der Erste, der dieses Potenzial beschrieb, war Alexis de Tocqueville, ein französischer Gelehrter, der Anfang des 19. Jahrhunderts das blühende Vereinswesen in den USA pries, in dem unterschiedliche Meinungen, Positionen und Lebensrealitäten zusammenkamen.

Sind denn diese Vorbilder von damals und aus einem fernen Land auf deutsche Verhältnisse von heute übertragbar?
Ja natürlich. Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas sieht mehrere sich überlagernde, auch widerstreitende Öffentlichkeiten, die Themen nach oben spülen und damit in politisches Handeln übersetzen. Habermas meint damit Vereine, Kirchen, Gewerkschaften, all diese Verbände, die die Zivilgesellschaft bilden.

Klingt anspruchsvoll, aber wenn jemand im Fußballverein ist, möchte er vielleicht nur Fußball spielen ...
Jeder Mensch hat das Bedürfnis mitzubestimmen. Wer Mitglied ist, dem ist nicht egal, was im Verein oder in der Bürgerinitiative passiert. Es ist eine bewusste Entscheidung, sich mit Gleichgesinnten zu treffen. Das betrifft auch Kinder und Jugendliche. Wir haben festgestellt: Wenn sie sich schon früh im Verein engagieren, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie es auch in Schule, Uni oder in Jugendorganisationen tun.

Sind Jugendliche zufrieden mit unserer Demokratie?
Aus den breit angelegten Jugendstudien wissen wir, dass sie sich darin nicht groß von Erwachsenen unterscheiden. Ihre Zufriedenheit ist niedrig und sinkt weiter. Es hat immer damit zu tun, wie sehr ich beteiligt bin.

Wie könnte das denn besser eingelöst werden?
Kinder und Jugendliche sollen mitgestalten können und Rechte haben. Es ist gesetzlich in der UN-Kinderrechtskonvention geregelt, dass sie die eigene Lebenswelt mitgestalten dürfen. Es muss nur an allen Orten des Aufwachsens umgesetzt werden.

Wie sehen Sie das Problem, dass unsere Jugendlichen zunehmend mit Populisten sympathisieren?
Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist eine der großen Aufgaben, die wir vor uns haben. Wir brauchen mehr politische Bildung, aber durch alle Altersgruppen. Ich schaue mit hoher Wachsamkeit in die Zukunft. Mit Zuversicht schon auch. Ich glaube, dass die Demokratie bei uns nach wie vor relativ stabil ist. Aber wir müssen dafür was tun.