Lost ohne Smartphone?

Social Media und Handynutzung junger Menschen mit und ohne Fluchterfahrung

Können Sie sich ein Leben ohne Ihr Smartphone vorstellen? Wofür nutzen Sie es? Wie präsentieren Sie sich in Social Media Kanälen? Und: Wenn Sie plötzlich fliehen müssten, welche fünf Gegenstände würden Sie mitnehmen? Wäre das Smartphone dabei und warum (nicht)?

Prof. Ute Karl (li.) leitete das Projekt „Lost without Smartphone“, in dem Studierende der EH Ludwigsburg gemeinsam mit jungen Geflüchteten arbeiteten.

Mit diesen Fragen zu den Themen Flucht und Nutzung des Smartphones junger Menschen beschäftigten wir uns im Seminar „Lost ohne Smartphone? – Social Media & Handynutzung junger Menschen mit und ohne Fluchterfahrung“ im Rahmen des Projektstudiums im dritten und vierten Semester in den Studiengängen Bachelor Soziale Arbeit und Bachelor Internationale Soziale Arbeit.

Das Smartphone ist aus dem Leben junger Menschen nicht mehr wegzudenken: Vernetzung, Informationsbeschaffung, Dokumentation, Organisation des Lebens und Freizeitgestaltung (z.B. Musik, Filme, Gaming) sind für viele nicht mehr ohne das Smartphone vorstellbar. In Form von Fotos und Filmen werden Erinnerungen über Jahre gespeichert, und über soziale Medien der Alltag, die schönen Momente und die Sorgen geteilt. Wenn es ein Gerät gibt, das fast alle jungen Menschen nutzen, dann vermutlich dieses. Und doch: Je nach Lebenssituation kann es verschiedene Bedeutungen haben. Es kann Leben retten oder gefährden.

In Kooperation mit der Ökumenischen Fachstelle Asyl und der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg fand im Wintersemester 2024/2025 ein partizipatives Lern- und Bildungsprojekt statt, das genau diese Gemeinsamkeit, das Smartphone, als Ausgangspunkt nahm, um sich intensiv mit dem Thema Flucht und Asyl auseinanderzusetzen.

Wie sah das genau aus?

Im Rahmen des Projektseminars erarbeiteten sich Studierende Hintergrundwissen zum Thema Flucht und Asyl sowie zur Bedeutung des Handys auf der Flucht, beim Ankommen in Deutschland sowie zum Kontakt mit Familie und Freund*innen in anderen Ländern über weite Distanzen. Sie nutzten dafür wissenschaftliche Publikationen sowie das Material von Brot für die Welt (https://www.brot-fuer-die-welt.de/mit-dem-smartphone-auf-der-flucht/).

Dabei wurde deutlich: Auf der Flucht kann das Smartphone überlebensnotwendig sein, beispielsweise wenn Hilfe bei der Durchquerung der Wüste notwendig wird, wenn die Wettervorhersage analysiert werden muss, um das Mittelmeer zu überqueren, wenn ein Weg durch die Berge gefunden werden muss oder auch um im Kontakt mit Schleusern zu stehen. Aber das Smartphone kann auch Gefahr bedeuten. Über die Ortung von Smartphones können Fluchtbewegungen kontrolliert und die Flucht (gewaltsam) unterbrochen werden. Auch beim Ankommen in Deutschland spielt das Smartphone eine ambivalente Rolle: Es hilft bei der Informationsbeschaffung, bei der Vernetzung und im bürokratischen Dschungel oder kann wichtige Beweise bei der Beantragung von Asyl liefern. Gleichzeitig gibt es noch immer Situationen, in denen Smartphones gegen den Willen der Betroffenen ausgelesen werden können, um Informationen zum Beispiel über den Eintritt in den Schengen-Raum zu bekommen.

Erfahrungsbasiertes und forschendes Lernen im Projektstudium beginnt mit Lesen, Nachdenken und Diskutieren – das freilich ist aber nur der Anfang.

Das eigentliche Projekt beinhaltete eine gemeinsame Arbeit von ehrenamtlich engagierten Geflüchteten und Studierenden - in der Gruppe und in fünf kleinen Teams.

An drei gemeinsamen Nachmittagen und in zahlreichen Treffen im Team entwickelten die Teilnehmenden gemeinsam Lerneinheiten, in denen es um das Thema Flucht und die Nutzung des Smartphones ging – für Jugendliche im Alter von etwa 14 Jahren. Diese rund eineinhalbstündigen Lerneinheiten führten die Teilnehmenden dann in fünf Kirchengemeinden im Konfirmand*innenunterricht durch. Viele Jugendliche reflektierten dabei die eigene Nutzung des Handys. Vor allem lernten sie Neues zum Thema Flucht, Fluchtursachen und Fluchtwege. Beeindruckend waren auch die Berichte der jungen Menschen über ihre eigene Flucht. Durch die besondere Art des Lernsettings – junge Menschen im Dialog mit Jugendlichen – konnten die Konfirmand*innen entspannt Fragen stellen und in einen Austausch treten. Diese Nachmittage waren für alle eine große Bereicherung. Und ganz nebenbei konnten Erfahrungen im Leiten von Gruppen gesammelt werden, ein Aspekt, den wir im Seminar zuvor theoretisch erarbeitet hatten.

Die Studierenden haben alle notwendigen Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit übernommen, dazu gehören Insta-Posts und eine Reportage mit Interview, sowie die Evaluation, und sie haben sich in die jeweiligen Bereiche – auch technisch - eingearbeitet.

Die Freude am gemeinsamen Arbeiten und das gegenseitige Interesse zwischen jungen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung waren zentral und wirken nach. So fand nach Projektende ein gemeinsamer Spieleabend an der EH statt.

Das Projekt wurde begleitet von einem Filmteam: Studierende aus dem zweiten Semester aus dem Workshop „Film“ folgten uns behutsam über alle Stationen. Schauen Sie rein: https://www.youtube.com/watch?v=RrWoq9bL6XM
Prof. Dr. Ute Karl

Ute Karl, Dr. phil., ist Professorin für kulturelle, internationale und politische Dimensionen Sozialer Arbeit. Seit September ist sie für zwei Jahre auf einer Schwerpunktprofessur im Themenfeld Migration/Flucht und Soziale Unterstützung/Care im Rahmen des Projektes E(H)Laboriert, gefördert durch Mittel der bundesweiten Bund-Länder-Förderung FH-Personal. Sie ist zudem in der Co-Leitung von E(H)Laboriert, Promotionsbeauftragte und Leiterin des Studiengangs Master Soziale Arbeit.

Ihre Schwerpunkte sind Migration / Flucht und Soziale Unterstützung in transnationalen Konstellationen, Übergänge junger Menschen ins Erwachsenenalter, Alter(n) und Soziale Arbeit, Care, Gender und Community in lokalen und transnationalen Räumen sowie qualitative Forschungsmethoden.