Studieren im Ausland? Eine Alumna berichtet vom Reisen anno 1996

Angelika Reicherter

Die EH bietet seit Kurzem im Bereich des Studiengangs Internationale Soziale Arbeit ein Double Degree mit der Newman University Birmingham, Großbritannien, an. Dies ist ein weiterer Meilenstein der Internationalisierungsstrategie. Angelika Reicherter kann dagegen vom Beginn der Austauschprogramme berichten. 1996 studierte sie für 1 Semester in Brüssel, an der damaligen Partnerhochschule IHECS | Institut des Hautes Études des Communications Sociales.

In einem Interview zieht sie Revue.

Name, Vorname

Reicherter, Angelika

Alter

03.11.1970

Abschluss                  

Dipl. Sozialpädagogin (FH), Dipl. Medienpraktikerin

damaliger Studiengang

Sozialpädagogik

derzeitige Position / Tätigkeit bei…

Seit 12 Jahren freiberuflich tätig im Bereich Dokumentarfilm und Medien- und Kulturpädagogischen Projekten für verschiedene Zielgruppen. 

Was hat sie damals an einem Auslandssemester gereizt?

Ich fand den Vergleich sozialer Arbeit in Deutschland und einem anderen EU Land total spannend. Außerdem war Französisch die erste Fremdsprache, die ich in der Schule gelernt hatte. Viele Aufenthalte in Frankreich, bedingt durch Schüleraustausch, hatten mich sehr positiv zur französischen Kultur und Sprache geprägt. Wobei in Brüssel ziemlich schnell klar war – hier wird zwar französisch gesprochen – aber Belgien ist nicht Frankreich.

Warum Brüssel?

Brüssel deshalb, weil Frau Prof. Dr. Monika Barz den Kontakt zur Hochschule ihecs in Brüssel hergestellt hatte und die Weichen stellte, dass das Auslandssemester für mich und alle Nachfolgenden möglich wurde.

Welche Organisation hat die Entscheidung mental und/oder finanziell unterstützt?

Unterstützend habe ich damals ein Stipendium von der FH in Reutlingen bekommen und ich glaube mein Bafög wurde um einen Auslandszuschlag erhöht. Finanziell ging es mir also gut, ich war abgesichert.

Wer hat für die Hochschule beraten können?

Von der Reutlinger Seite konnte Frau Barz beraten – auf Brüsseler Seite wurde mir ein „Vertrauens-Dozent“ an die Seite gestellt. Da fällt mir gleich ein großes Fettnäpfchen ein, in das ich getreten bin:

Mein Vertrauens-Dozent duzte mich gleich beim ersten Mal – und ich dachte mir, mhh das ist hier ja so familiär wie in Reutlingen und habe ihn auch gleich geduzt – was ihn etwas schockiert hat. Denn in Brüssel waren die Studierenden viel jünger als in Reutlingen, meist 17-18 Jahre alt. Und so übernahmen die Dozent*innen die Funktion von „Vätern“ und „Mütter“ und duzten die Studierenden und umgekehrt siezen die Studierenden die Professor*innen.

Wie sah ihr Studienalltag in Brüssel aus?

Ich bin zufällig in ein Semester gerutscht, in dem fast in allen Fächern die großen Projektarbeiten anstanden. D.h. ich wirkte an einer Hörfunkproduktion über ein neues Kulturzentrum mit, machte bei einer neun-Projektoren-Diashow über die Pflanze Hanf als alte Kulturpflanze mit und zur Krönung war ich an einem Werbespot zur AIDS Prävention beteiligt, der sogar eine Auszeichnung bekam.
Die Tage waren sehr lang, für mich waren die Medien Video, Audio und Foto neu. Ich genoss es, all diese Medien erlernen zu dürfen und von früh bis in die  Nacht an der Hochschule kreativ tätig zu sein. 

Haben Sie Stadt und Hochschule als weltoffen erlebt?

Ich habe die Hochschule als sehr familiär und gleichzeitig sehr weltoffen erlebt. Die Technik war auf dem neuesten Stand. Trends und politische Bewegungen wurden aufgegriffen, diskutiert und geschaut, welche Bedeutung sie für die soziale Kommunikation haben. Neben Französisch wurde auch Englisch gesprochen. 

Wie haben Sie von Ihrem Auslandssemester profitiert?

Auf jeden Fall habe ich davon profitiert! In Brüssel habe ich sehr viel darüber gelernt, wie man soziale Themen mit audiovisuellen Mitteln aufbereitet und gut kommunizieren  kann. Außerdem haben die Erfahrungen in mir die Leidenschaft geweckt, nach dem Studium der Sozialpädagogik weiter an die Uni zu gehen, um Medienwissenschaft und Medienpraxis zu studieren. Ich wollte das eine mit dem anderen verbinden.

Und was verbinden Sie heute spontan mit dem Namen „Evangelische Hochschule Ludwigsburg“?

Ich freue mich darüber, dass der Standort in Reutlingen wieder belebt wurde. Und ich freue mich auch sehr darüber, wie sich die Hochschule weiterentwickelt hat und ein Double Degree ermöglicht. Das ist echt super!

Macht mich auch irgendwie stolz, dass ich dort studiert habe – ich trage viele positive Erinnerungen in mir an die Zeit des Studiums.

Welche Eindrücke haben Sie von Ihrem Studium in Erinnerung?

Ich bin sehr dankbar, dass ich aus einer unglaublichen Vielfalt an Angeboten an Seminaren damals im Studium wählen konnte. Es gab sehr viele Dozent*innen, die aus der Praxis kamen. Ich erinnere mich, dass viel diskutiert und hinterfragt wurde. Außerdem konnte man sich im ASTA, Frauenplenum und anderen Gruppierungen engagieren. Ich glaube damals habe ich mich auf die Organisation unserer Studienreise nach Dresden gestürzt und durch das Tun und die Möglichkeit mit Profis zu reflektieren, viel gelernt habe.

Welche Impulse gibt Ihnen die Ausbildung in Reutlingen heute noch?

Ich habe immer noch Kontakt zu Kommiliton*innen und schätze den Austausch mit ihnen. Außerdem habe ich Grundlagen erlernt, wie ich komplexe Sachverhalte strukturieren kann und auch in stressigen Situationen handlungsfähig bleibe. 

Was erwarten Sie von jungen BerufsanfängerInnen nach dem Studium?

Dass sie offen sind für ihren Beruf, Bereitschaft für lebenslanges Lernen zeigen, dass sie sich selbst und ihr Tun kritisch unter die Lupe nehmen, dass sie ein Bewusstsein für ihre eigenen Grenzen haben, sich nicht überfordern  und dass sie klar und  deutlich kommunizieren können.

Welche Unterschiede gibt es zu ihrem Berufsanfang?

Die digitalen Medien haben die Welt verändert. In der sozialen Arbeit geht es um Beziehungen – das ist weiterhin analog – heute muss man halt beides können: analog und digital.

Welche Aufgaben sollte die Hochschule für erfolgreiche Berufsbiografien übernehmen?

Solide Grundlagen vermitteln und zu kritischem Denken anregen.