Was brauchen Eltern, um Beruf und Familie unter einen Hut zu kriegen? 2018 startete die Ev. Landeskirche in Württemberg ein Projekt namens „Partnerschaft, Ehen und Familien stärken“. Doch weil Familienarbeit im Kontext mit Kirche nahezu unerforscht war, sollte eine Studie das Projekt begleiten. „Tatsächlich gibt es viele Studien über Kinder- und Jugendarbeit, aber kaum eine über Familienarbeit“, sagt Johanna Possinger. „Das greift zu kurz. Es sind die Eltern, die entscheiden, ob das Kind getauft wird, in den ev. Kindergarten geht und zur Konfirmation.“
Die Studie dreht sich um drei Fragen.
Was brauchen Familien, um ihren Alltag gut zu meistern?
Die Antworten sind einhellig. Unabhängig davon, ob es Ehepaare sind, Alleinerziehende oder Regenbogenfamilien, alle wünschen sich:
- Mehr Zeit für die Kinder, die Partnerschaft und sich selbst.
- Eine gute Betreuung für Kinder und Jugendliche,
- bessere wirtschaftliche Absicherung und Schutz vor Armut und
- praktische Angebote für den Alltag im Sozialraum, das heißt im Quartier, im Dorf, in der Stadt.
Die Kritik der Familien an der Kirche ist harsch: Sie fühlen sich nicht wahrgenommen. Die Kirche sei starr, Gottesdienste seien familienunfreundlich und dauerten zu lang, die Musik sei schlecht, die Predigt nichtssagend, Kinder müssten still sein. Und es fehlen generationenübergreifende Angebote.
Die gute Nachricht ist aber: Familien sind offen dafür, über Glauben, Religion und Kirche nachzudenken, auch dann, wenn sie kaum einen Bezug zur Kirche haben. Das beginnt schon mit der Gründung der Familie, wenn das erste Kind dazu kommt.
Was erwarten Familien von der Kirche?
„Lebensdienliche“ Angebote, die im Alltag helfen. Ein Flohmarkt im Gemeindehaus mit Kinderkleidung und Spielzeug. Familiencafés als Orte der Begegnung. Freizeitaktivitäten für Väter mit Kindern, Familienfeste und Krabbelgruppen. Ehrenamtliche Hausaufgabenhilfe oder auch ein Mittagstisch. Alles sollte günstig oder kostenfrei sein, denn, so Possinger, „Geldsorgen sind weit verbreitet. Armut spielt eine große Rolle. Auch im reichen Baden-Württemberg.“ Hinzu kommt: Eltern sind wahnsinnig gestresst im Spagat zwischen Kindererziehung und Beruf.
Für die Studie wurden 40 Familien online befragt. Eine bunte Mischung: Alleinerziehende, Ehepaare, Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien. Solche, die in der Kirche sind und andere, die ausgetreten sind. „Und wir haben geschafft, was nur wenige Studien schaffen, eine gute Mischung an sozioökonomischen Lebenslagen zu erreichen. Wohlhabende waren ebenso dabei wie Familien mit großen Geldsorgen, der wirtschaftliche Druck ist längst in der Mittelschicht angekommen.“ Die Hälfte der Befragten ist abstiegsgefährdet oder schon in der Armut angekommen.
Die aktuelle Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU VI) zeigt, dass Menschen dann aus der Kirche austreten, wenn diese für sie nicht mehr relevant ist. „Deshalb sollte Kirche direkt an den Bedarfen von Familien anknüpfen.“ Die Nachwuchsförderung sei ein gesellschaftlicher und theologischer Auftrag. „Familien zu unterstützen, das ist eine Investition in die Zukunft von Kirche.“
Was können Kirchengemeinden tun?
Zuerst einmal müssen Familien erreicht werden. Auch diejenigen, die nicht in den Gottesdienst kommen. „Die Zeiten haben sich geändert, wir können nicht nur im Gotteshaus sitzen und warten, dass alle kommen“. Wichtig sei das Aufsuchen im Sozialraum, dass beispielsweise Hauptamtliche immer wieder mal in Kitas präsent sind, um mit Eltern ins Gespräch zu kommen. Oder ein Gottesdienst auf der Wiese, in der Reithalle oder im Kindergarten. Dort ist die Atmosphäre eine andere und Familien mögen es locker. Generationen begegnen sich, Kinder, Eltern, Großeltern – und am Ende gibt es ein gemeinsames Mittagessen. „Wie in der Bibel: Begegnung, Austausch, gemeinsam das Brot brechen.“
Für die Studie suchte Johanna Possinger mit ihrem Team nach Best-Practice-Beispielen und sammelte von Haupt- und Ehrenamtlichen in 15 familienorientierten Gemeinden gute Ideen ein. Ein Beispiel: Vater-Kind-Wochenenden sind auf Monate ausgebucht, weil so die Väter Zeit mit ihren Kindern verbringen und die Mütter zugleich ein Wochenende frei haben.
Gut wäre, so Johanna Possinger, das Thema Familienarbeit in die Ausbildung von Pfarrerpersonen, Diakon:innen und Gemeindepädagog:innen zu integrieren. Landeskirchen sollten die Vernetzung von familienengagierten Gemeinden untereinander anregen, damit diese voneinander lernen und nachahmen können. Außerdem braucht es gutes Material für Familienarbeit, damit Ehrenamtliche auf bereits erprobte Abläufe zurückgreifen können.
Um mehr Gemeinden für Familienarbeit zu gewinnen, braucht es aber auch finanzielle Ressourcen, so Possinger „Ohne Fördermittel, die nicht an befristete Projekte gekoppelt sind, geht es nicht.“ Die Studie empfiehlt deshalb eine zentrale Anlaufstelle für Familienarbeit innerhalb der Landeskirche, die Kirchengemeinden berät und bei der Beantragung von Fördermitteln unterstützt.